Der grösste private Immobilienbesitzer der Schweiz trifft auf einen der Vordenker in Sachen Digitalisierung. Worüber sprechen die beiden? Welches sind ihre Bedürfnisse und Möglichkeiten? Am «inspiring circle», einem Impulsevent von sechs Technologiepartnern der Bauzulieferbranche in Zürich, referierten und diskutieren Giorgio Engeli und Martin Meier über die An- und Herausforderungen sowie Zukunftschancen von Architektur- und Baudienstleistern im Umgang mit digitalen Arbeitsmitteln und Big Data.
Swiss Life hält das grösste Immobilien-Portfolio der Schweiz: Rund 1’400 Liegenschaften mit 37’000 Wohnungen, einem Anlagewert von fast CHF 40 Mia. und einem jährlichen Investitionsvolumen von über einer halben Milliarde Franken. Giorgio Engeli, dipl. Architekt ETH/MSc BA/EMBA HSG, ist als Leiter Real Estate Portfolio Management Schweiz für diesen enormen Immobilienbestand verantwortlich. Er ist der Meinung, dass seine Branche den heutigen digitalen Möglichkeiten hinterherhinkt und nennt als Vergleich die Banken, die sich in rund 30 Jahren quasi neu erfunden haben. Als einer der grössten institutionellen Investoren und Eigentümern entwickelt, saniert und unterhält Swiss Life Liegenschaften für das eigene Portfolio sowie für Dritte. Dazu nutzt sie schon heute unzählige digitale Instrumente, die jedoch oft losgelöst von einander funktionieren und keine gemeinsame Sprache haben. Engeli weiss natürlich, dass es komplexe Datenbanken, 3D-Modelle, BIM, Visualisierungen, VR-Brillen und vieles mehr gibt. In der DACH-Region gab es per August 2022 nicht weniger als 522 sogenannter Proptech-Angebote (Quelle: proptech.de). Meistens dienen digitale Verfahren seiner Meinung nach jedoch nur dazu, bereits etablierte Prozesse zu vereinfachen, Massnahmen zu beschleunigen, nachhaltige Entscheidungen zu bestätigen und längerfristig Kosten zu sparen.
Schnittstellen zu Verbindungsstellen machen
Er fragt sich deshalb: Was wäre, wenn Entscheidungen anhand digitaler Modelle und vereinheitlichter Plandaten herbeigeführt werden könnten? Wenn Bestandsbauten, Sanierungen, Umnutzungen und Verdichtungen grossräumig analysiert, geplant und virtuell sichtbar gemacht werden könnten? Wenn Siedlungsentwicklung automatisch mit baurechtlichen, sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Parametern unterlegt würde? Er ist auf der Suche nach Technologien und Anbietern, welche die unzähligen, heute noch fragementierten Lösungen zusammenführen können. «Was uns fehlt, sind die Noppen», argumentiert Giorgio Engeli, und meint damit die Verbindungsteile von Lego-Steinen. Selber Architekt, scheut er sich nicht, alte SIA-Zöpfe zumindest gedanklich abzuschneiden, Normen und Abläufe zu hinterfragen. Seinen Lösungsvorschlag fasst er unter dem Begriff «Interoperabilität» zusammen. Sie soll durch Einsparung von Ressourcen und Wartungsaufwand zu geringeren Kosten führen, die Datenqualität verbessern, allen Beteiligten zeitgleichen Zugang zu Informationen bieten und letztlich die organisatorische Effizienz erhöhen. Engeli anerkennt durchaus die «tollen Ansätze» und Konzepte, die es im Immobilienmarkt gibt, und zieht zur Veranschaulichung die Idee des Smart Homes heran. Dieses funktioniere als intelligentes, geschlossenes Datensystem. Er schliesst sein Referat mit einer rhetorischen Stellenanzeige: «Visionäre gesucht! Wir suchen Menschen, die vor allem interdisziplinär planen, kreativ denken und Projekte innovativ realisieren. Bewerben Sie sich jetzt.»
Wir stehen noch ganz am Anfang
Ein Steilpass für Martin Meier, ebenfalls Architekt ETH mit einem EMBA der HSG. Als Gründer und langjähriger ehemaliger Geschäftsführer von Raumgleiter – heute Tend – sowie Inhaber und GL-Mitglied von ZSB Architekten hat grosse Lust auf alles, was mit BIM, Virtual- und Augmented Reality sowie künstlicher Intelligenz zu tun hat. Er gab dem Publikum einen Überblick über die heutigen Möglichkeiten digitaler und virtueller Arbeitsinstrumente. Bauen sei unglaublich komplex, prototypisch und nur begrenzt mit Lego vergleichbar, stellt er sogleich klar. Immerhin erleichtere eine Visualisierung vor allem Laien, ein Bauvorhaben zu verstehen, weil sie eben die Komplexität reduziert, aber auch Ressourcen spart, Entscheide vereinfacht und Fehler verhindert. Die nächste Stufe ist das 3D-Modell, das die Perspektiven der Stakeholder – Bauherrin, Architekt, Unternehmerin, Nutzer, Öffentlichkeit etc. – zusammenführt. Zudem können ganz unterschiedliche Daten (Bauteile, Masse, Kosten, Energiebedarf, Simulationen u.ä.) hinterlegt werden. Er ruft die Anwesenden immer wieder dazu auf, die vorhandenen Instrumente zu nutzen. Drohnenscans, Digitaler Zwilling, BIM und viele andere. Meier plädiert dabei für Zurückhaltung: Lieber 10 Datensätze, die während der gesamten Lebensdauer eines Gebäudes nützlich sind, anstatt jede einzelne Fensterleiste zu erfassen und auszuwerten.
Der (lange) Weg zum digitalen Arbeiten ist immer auch ein einschneidender Change-Prozess. Denn Meier sagt schonungslos: «Wir sind alles Höhlenmenschen», jeder habe seine eigene, limitierte Vorstellung von der Welt draussen. Umso wichtiger ist die wohl überlegte, strukturierte Abwicklung eines solchen Veränderungsprozesses, von der Vision bis zur Aktion. In seiner Laufbahn hat das unter anderem zum «Decision Room» geführt, einer Art Entscheidungscockpit, das Raumgleiter mit Halter entwickelt hat. Ein physischer Kommunikationsraum, ausgerüstet mit Monitoren und allerlei digitalen Hilfsmitteln für virtuelle Wohnungsbesichtigungen, digitale Wettbewerbsjurierungen, Virtual Reality und vieles mehr, alles sprachgesteuert über Alexa. Diese Einrichtung war dann – unbeabsichtigt – wie gemacht für den Einsatz während Corona.
72 Stunden im virtuellen Haus
Meier geht dann über zu Virtual Reality (komplett künstlich generierte Welt), Augmented Reality (virtuelle Elemente überlagern die Realität) und Mixed Reality, die Verschmelzung von beiden, was gemäss dem Referenten unser aller Arbeitsumfeld weiterhin stark verändern wird. Beispielsweise werden damit «Real Time»-Visualisierungen möglich, Architektur in Fotoqualität, die man virtuell «benutzen» kann. Eine provokative Idee von Martin Meier: Die Bauherrschaft darf den Bauauftrag erst erteilen, wenn sie mindestens 72 Stunden in ihrem virtuellen Haus verbracht, Fenster geöffnet, Möbel verschoben und verschiedene Sonnenstände ausprobiert hat. Ums Ausprobieren geht es auch im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz. Am Beispiel der Plattform Midjourney zeigt Meier, was für architektonische Spielereien der Computer anhand von ein paar Stichworten generiert. Solche Tools sollen nicht den Architekten ersetzen, sondern – passend zum Veranstaltungsthema – zur Inspiration dienen. Sein Fazit: «Wir gehören der ‘Generation I’ an – ‘I’ wie in Interface; denn wir haben Schnittstellenprobleme ohne Ende.» Es geht darum, die unendlich vielen individuellen Fähigkeiten zusammenzubringen. Der Architekt müsse auch seine teils elitäre Denkweise überwinden können.
Der Mensch bleibt im Zentrum
In der Podiumsdiskussion zwischen den beiden Referenten, moderiert von Hochparterre-Redaktor Urs Honegger, wird eines klar: Keine Software, keine Plattform und keine KI wird den Menschen als Kreateur von Bauwerken, Entscheider und Betreiber ersetzen. Im Gegenteil: Engeli und Meier sind sich einig, dass die vielen Kompetenzen, also Fachplaner, Bauteilhersteller, Handwerker, IT-Spezialisten etc., sehr früh, möglichst von Anfang an, in den Planungsprozess einbezogen werden müssen. Die ganze Technologie jedoch ist und wird noch mehr zu einem ungemein wichtigen Hilfsmittel für das Ressourcen- und Kostenmanagement, als Grundlagenlieferantin für Entscheidungen. Bevor man Gebäude von oben bis unten mit Sensoren und Technik ausstattet, seien die Fragen erlaubt: «Wozu denn?» Was ist das Ziel, was ist das Bedürnis, was macht Sinn? Giorgio Engeli und Martin Meier legten den Architekten ans Herz, sich weniger selbst zu verwirklichen, weniger Unikate zu erschaffen, dafür vermehrt über Standardisierung und Zukunftsszenarien nachzudenken.
Über «Inspiring Architecture»
Eine Gruppe von führenden Technologiepartnern hat sich zum Ziel gesetzt, inspirierend und inspiriert auf die Baubranche, auf Kunden und Stakeholder einzuwirken, Impulse zu setzen. Unter dem Motto «inspiring architecture – building the future together» manifestiert sich dieser Schulterschluss in einem gemeinsamen Auftritt. «inspiring circle» ist das Label für regelmässige hochstehende Events.
BWB Oberflächentechnik
JOMOS Brandschutz AG
HANS KOHLER AG
Metallpfister
stebler
WICONA DACH